Die Bundesländer hatten sich in der KMK 2012 auf einheitliche Rahmenbedingungen für den Erwerb des Abiturs geeinigt. Damit sollen die Unterschiede zwischen den Bundesländern in den Anforderungen abgebaut werden. In einem ersten Schritt wurde in Sachsen-Anhalt 2016 die Anzahl der in die Abiturwertung einzubringenden Halbjahresleistungen verringert. Weiterhin wurde eine Flexibilisierung bei der Wahl der schriftlichen Prüfungsfächer vorgenommen. Bisher musste in Deutsch, Mathematik und einer Profifach-Fremdsprache geschrieben werden. Nur die Profilfach-Naturwissenschaft oder Geschichte konnten im schriftlichen Abitur durch den Prüfling ausgeschlossen werden. Jetzt kann auch Deutsch, Mathematik oder die Profilfach-Fremdsprache ausgeschlossen werden.

In einem zweiten Schritt wurden Grund- und Leistungskurse in Kern- und Profilfächern ab dem Schuljahr 2019/20 eingeführt. Die KMK-Vorgabe sieht 2 bis 4 Leistungskurse (erhöhtes Niveau) vor. In der veränderten Oberstufenverordnung entschied sich das Bildungsministerium für eine Variante mit 3 Leistungskursen zu je 5 Wochenstunden und 3 Wochenstunden für die Grundkurse (grundlegendes Niveau). In den Kern- und Profilfächern wurden die seit mehreren Jahren vorliegenden neuen Lehrpläne durch Kürzung der Inhalte angepasst. Die Wiedereinführung der Grund- und Leistungskurse erleichtert die Unterrichtsgestaltung in den betroffenen Fächern auf erhöhtem Niveau. Die kompetenteren Schülerinnen und Schüler haben eine Wochenstunde mehr. In den Kursen auf grundlegendem Niveau befinden sich viele Schülerinnen und Schüler mit Defiziten. Für sie stehen jetzt nur noch 3 statt 4 Wochenstunden zur Verfügung.

Die vorgenommenen Veränderungen stellen eine erhebliche Erleichterung beim Erwerb des Abiturs dar. Zum Abitur gehören aber auch die Abiturprüfungen. In einer Anhörung beim Minister für Bildung im Jahr 2018 sagten wir, dass eine abschließende Beurteilung der Veränderungen erst unter Einbeziehung der Veränderungen der Aufgabenkultur in den schriftlichen Prüfungen erfolgen kann. Seit 2017 werden die Aufgaben aus dem Pool der Bundesländer für die Fächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch entnommen. In Mathematik sind die Abiturprüfungen 2021 durch einen Hilfsmittel freien Teil, die hohe Anzahl von Teilaufgaben und die Auswahl einer Aufgabe in der Stochastik aus zwei Aufgaben mit hohem Textanteil anspruchsvoller geworden. Viele Schülerinnen und Schüler hatten in der Mathematikprüfung 2021 Zeitprobleme. Der Durchschnitt wäre in den Keller gegangen, wenn alle Schülerinnen und Schüler wie früher hätten schreiben müssen.

Ein Jahr später gab es die gleichen Probleme, obwohl im Prüfungsteil mit Hilfsmitteln keine 2. Stochastikaufgabe mehr zur Auswahl stand und die Bearbeitungszeiten wie im Vorjahr verlängert wurden. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die im Prüfungsteil des Abiturs scheitern, ist größer geworden, weil mehr leistungsschwache Schülerinnen und Schüler die leichteren Einbringungsverpflichtungen erfüllen und damit die Zulassung zu den schriftlichen Prüfungen erhalten. Mehrfach wurden in einigen Bundesländern 2021 die Bewertungen in Mathematik im Nachhinein um ein oder zwei Notenpunkte angehoben. Es ist erstaunlich, dass keine Schülerinnen und keine Schüler aus Sachsen-Anhalt geklagt haben, die mit 2NP mehr in der Mathematikprüfung das Abitur bestanden hätte.

Zu allen Änderungen hatte sich das Referat Gymnasien in den Anhörungen beteiligt. Die jeweiligen Stellungnahmen wurden in der Verbandszeitschrift veröffentlicht.

Wenn man die Veränderungen der Oberstufenverordnung gleichzeitig mit dem Wegfall der verbindlichen Schullaufbahnempfehlung, der überarbeiteten Versetzungsordnung (zusätzliche Leistungsfeststellung bei 3x Note 5) und dem überarbeiteten Bewertungserlass (Klassenarbeitsnote 4 ab 40%, vorher ab 50%) betrachtet, kann man nur eine Schlussfolgerung ziehen. Jede Schülerin und jeder Schüler, die sich für den gymnasialen Bildungsgang anmelden, dürfen erst scheitern, wenn sie selbst aufgeben. Das Problem, vor dem viele Lehrerinnen und Lehrer nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse stehen, ist die Frage: „Wie erkläre ich meinen Schülerinnen und Schüler die Verschlechterung gegenüber den Vornoten?“

Hilmar Penne,
Referat Gymnasium

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