VBE lässt nicht locker: Politik muss sich klar bekennen – Ein Jahr nach der forsa-Umfrage „Gewalt gegen Lehrkräfte“

Vor einem Jahr, am 14.11.2016, wurde die vom VBE in Auftrag gegebene, repräsentative forsa-Umfrage „Gewalt gegen Lehrkräfte“ veröffentlicht. Anlässlich dieses Jahrestages haben alle VBE-Landesvorsitzenden die Schul- bzw. Kultusministerien angeschrieben und erfragt, inwieweit diese den damals aufgestellten Forderungen des VBE nachkommen. „Die ersten Antworten der Schulministerien zeigen: Das Thema ‚Gewalt gegen Lehrkräfte‘ wird deutlich ernster genommen als noch vor einem Jahr. Das Tabu ist gebrochen“, kommentierte Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE, am 14.11.2017 die Antworten.

Zugleich stellte er fest, dass ein Hauptproblem bleibt. Die Länder halten weiter an der Praxis fest, entweder keine oder unzureichende Statistiken zu führen und diese nicht zu veröffentlichen. Beckmann stellt klar: „Dies können wir nicht akzeptieren. Um das Thema endgültig aus der Tabuzone zu holen und um deutlich zu machen, dass die Dienstherrn sich uneingeschränkt vor die Beschäftigten stellen müssen, bedarf es eines offensiven Umgangs mit dieser Problematik. Auch entsprechende Fortbildungen sind in notwendigem Umfang anzubieten.“

Am 15.09.2017 sendeten die Vorsitzenden der VBE-Landesverbände gemeinsam mit dem VBE-Bundesvorsitzenden, Udo Beckmann, einen Brief mit der Bitte um Stellungnahme an die zuständigen Ministerien sowie an die Kultusministerkonferenz. Geantwortet hatten bis zum 14.11.2017 die Kultusministerkonferenz sowie  Baden-Württemberg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Beckmann verweist zugleich auf die Verantwortung der Zuständigen: „Wir sind auf die Kooperation der Ministerien angewiesen. Es ist eine Unsitte, solche Anfragen zwei Monate lang nicht zu beantworten.“ Lediglich für besondere Umstände, wie die Neuwahlen in Niedersachsen oder den Amtswechsel in Sachsen habe er Verständnis. Der VBE-Chef erklärt: „Uns liegt an einer konstruktiven Zusammenarbeit. Die Umfrage des VBE und unsere Praxiserfahrungen sollten dazu genutzt werden, in den einzelnen Ländern die Prozesse so zu optimieren, dass Lehrkräfte bestmöglich vor Angriffen geschützt und im Falle eines Falles bestmöglich unterstützt werden können“.

Der VBE Sachsen-Anhalt erhielt nach nochmaligem Anschreiben am 02.11.2017 eine Antwort, allerdings von der Staatsekretärin Edwina Koch-Kupfer unterzeichnet. Aus unserer Sicht ist die Antwort mehr als unbefriedigend. (Kursiv gehalten sind die Antworten des Bildungsministeriums zu den einzelnen Frageschwerpunkten.)

  • Auf die Frage, ob Statistiken zu Vorfällen von Gewalt gegen Lehrkräfte geführt und diese öffentlich zugänglich gemacht werden, heißt es:

„Die Vorfälle von Gewalt gegenüber Lehrkräften werden weder im Ministerium für Bildung noch im Landesschulamt statistisch erfasst“.

Lediglich das Innenministerium kann eine Zahl nennen: 35 Lehrkräfte im Jahr 2016. 35 Lehrkräfte wurden 2016 Opfer einer Straftat während der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit. Diese Angabe konnte bereits aus einer parlamentarischen Anfrage an die Landesregierung im 1. Halbjahr 2017 entnommen werden.

Allerdings wurde doch noch aus dem Landesschulamt für 2017 eine Zahl, die sich aus den ersten Quartalen 2017 ergab, genannt. „Das Landesschulamt kann über den (Anm. d. Red.) Arbeitsbereich der Schulpsychologie, die im Falle eine Erstversorgung ggf. tätig wird, über sechs Fälle im Jahr 2017 von Gewalt gegen Lehrkräfte berichten. Die Vorfälle ereigneten sich an Grund- und Förderschulen sowie an einer berufsbildenden Schule.“

Es gibt also doch eine Erfassung der Zahlen, wenn die statistischen Angaben einmal aus einer anderen Sicht gesehen werden.

  • Wie setzt sich das Ministerium für Lehrkräfte ein, die Gewalt erlebt haben?

„Die Fürsorgepflicht für die Lehrkräfte auch in Fällen der Gewaltanwendung liegt in erster Instanz beim direkten Vorgesetzten der betroffenen Lehrkraft, dem Schulleiter. Im Falle einer Meldung bei der Schulleitung erfolgt eine Prüfung und Veranlassung entsprechender Maßnahmen. Nach Angaben des Landesschulamtes wird den betroffenen Lehrkräften eine „Erstversorgung“ durch Schulpsychologen angeboten. Die Inanspruchnahme dieser Hilfe hängt ganz von dem persönlichen Empfinden der Lehrkräfte sowie dem Ausmaß und der Intensität der erfahrenen Gewalt ab. In jedem Fall wird unmittelbar auf den Vorfall reagiert. Wissen das die Schulleitungen? Sind sie sich ihrer enormen Verantwortung an dieser Stelle bewusst?

  • Wie wirkt das Ministerium darauf ein, dass Schulaufsicht und Schulleitungen Lehrkräfte unterstützen können?

„Eine Hilfestellung für die Gewaltprävention als auch die Erstversorgung an jeder Schule ist der „Krisenordner“, der seit 2015 an allen Schulen des Landes Sachsen-Anhalt in Form von Handlungsleitlinien die Vorgehensweisen strukturiert.

Die Inhalte des Ordners richten sich an alle Mitglieder einer Schule, die von besonderen Belastungssituationen oder krisenhaften Ereignissen betroffen sind.

Die Prävention, konkrete Situationen des Umgangs mit Gewalt und deren Aufarbeitung sind Thema von Fortbildungen.“

An dieser Stelle zeigt sich, dass das Bildungsministerium sich nicht im Klaren darüber ist, dass ein Nachschlagen in strukturierter Anleitung im Ernstfall oft zu viel Zeit verbraucht. Die Durchführung von Fortbildungen zu dieser Thematik war und ist völlig unzureichend.

  • Kennt das Ministerium die Praxis des Verschweigens solcher Vorfälle, damit Schulstandorte keinen schlechten Ruf erhalten? Wie wird dagegen gewirkt?

Das Verschweigen von Vorfällen der Gewalt, um einen schlechten Ruf des Schulstandortes zu vermeiden, ist nicht bekannt. Auch seitens des Landesschulamtes sind Tabuisierungen aus Gründen der öffentlichen Wahrnehmung unbekannt. Das Unterstützungsbemühen richtet sich auf zügige, adäquate, der Situation angemessene Lösungen. Grundsätzlich steht es aber jeder betroffenen Lehrkraft offen, eine Anzeige zu erstatten und gegebenenfalls zivilrechtliche Maßnahmen einzuleiten. Der VBE Sachsen-Anhalt fordert aufgrund der teilweise erschreckenden Ergebnisse der forsa-Umfrage 2016 weiterhin:

  • Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr sein.
  • Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu erfolgen.
  • Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden.
  • Die Lehrkraft muss ebenso wie die Schulleitung die volle Unterstützung des Dienstherrn erhalten.
  • Entwicklung klarer Strukturen, an wen sich Lehrkräfte wenden können und was nach einem Übergriff zu tun ist.
  • Unterstützung der Schulen durch multiprofessionelle Teams.
  • Ein breites Fortbildungsangebot.
  • Vermittlung von Medienkompetenz als Prävention gegen Cybermobbing.

Hinweis:

Die Ergebnisse der Umfrage wurden im Mai 2017 zusammen mit einem ausführlichen Serviceteil zum länderspezifischen Vorgehen nach einem Vorfall in einer Broschüre aufgearbeitet. Diese finden Sie unter: http://www.vbe.de/angebote/gewaltbroschuere.html

 

Torsten Wahl,

Landesvorsitzender

 

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