Die Vorgeschichte

Ein Schüler ist 2014 in Sachsen-Anhalt wegen 0 Punkten in der mündlichen Prüfung im Fach Religion durch die Abiturprüfung gefallen. Dagegen klagte der Schüler erfolgreich. Ein Gericht schätzte 2016 diese Regelung als unverhältnismäßige Härte ein. Der Kultusminister kündigte daraufhin Veränderungen der Oberstufenverordnung an. Einzelheiten waren in der Landespresse zu lesen.

Dem Anlass entsprechend hätte es gereicht, 0 Punkte im mündlichen Prüfungsfach zu erlauben oder eine Wiederholungsprüfung zu ermöglichen. Der Fall tritt sehr selten auf. Die Mehrheit der Prüflinge scheitert an der 100-Punkte-Grenze in der Abiturprüfung.

Da die Abiturprüfung in Sachsen-Anhalt im Bundesvergleich zu den anspruchsvollen zählt, nutzte der Kultusminister die Gelegenheit, um weitere Änderungen zur Angleichung der Abiturbedingungen an die Regelungen anderer Bundesländer umzusetzen. Auch in dieser Richtung gab es häufig öffentliche Kritik von Eltern.

Die Änderungen

Die Wahl der schriftlichen Prüfungsfächer wurde flexibilisiert. Bisher musste die Schülerin oder der Schüler Mathematik und Deutsch schreiben, jetzt nur noch in einem von beiden. Durch eine besondere Lernleistung ließe sich auch das andere der beiden Fächer ersetzen.

§ 16(2)Aus den Kern- und Profilfächern sind vor Beginn des dritten Kurshalbjahres die Fächer zu benennen, in denen die Schülerin oder der Schüler die schriftlichen Abiturprüfungen auf erhöhtem Anforderungsniveau ablegt. Darunter muss mindestens eines der Fächer Deutsch, Mathematik, Fremdsprache oder Naturwissenschaft sein. (Falls nur eines der Fächer Deutsch, Mathematik, Fremdsprache oder Naturwissenschaft gewählt wird, ist Geschichte das zweite Fach.)

§ 20
(1) Für die Abiturprüfung sind fünf Prüfungsfächer zu wählen:

  1. Das erste und zweite Prüfungsfach sind die gemäß § 16 Abs. 2 benannten Fächer. Sie werden schriftlich auf erhöhtem Anforderungsniveau geprüft.
  1. Die weiteren Prüfungsfächer werden durch die Schülerinnen und Schüler bei Anmeldung zum Abitur benannt und werden auf grundlegendem Anforderungsniveau geprüft. Zulässig sind dabei nur Fächer, die in der gymnasialen Oberstufe seit Beginn der Einführungsphase durchgängig belegt wurden. Das dritte und vierte Prüfungsfach werden schriftlich, das  fünfte Prüfungsfach wird mündlich geprüft. Zu diesem Zeitpunkt ist auch die verbindliche Erklärung zur Einbringung einer besonderen Lernleistung abzugeben.

(2) Für die Wahl der Prüfungsfächer gilt:

  1. Aus jedem Aufgabenfeld muss mindestens ein Prüfungsfach gewählt werden. Unter den Prüfungsfächern müssen zwei der drei Fächer Deutsch, Mathematik oder Fremdsprache sein. Wird eine besondere Lernleistung eingebracht, kann sie das Aufgabenfeld abdecken, dem sie gemäß § 15 Abs. 2 zugeordnet wurde.
  2. Aus den Kern- und Profilfächern gemäß Anlage 2 sind vier Fächer als schriftliche Prüfungsfächer zu wählen. Dabei dürfen jeweils höchstens eine Fremdsprache und höchstens eine Naturwissenschaft gewählt werden. (Bei Nichtberücksichtigung von Mathematik oder Deutsch muss in Geschichte geschrieben werden.) Als mündliche Prüfungsfächer können nur Fächer gewählt werden, die einem Aufgabenfeld zugeordnet sind und für die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife oder Einheitliche Prüfungsanforderungen vorliegen und die noch nicht als schriftliches Prüfungsfach nach Satz 1 gewählt wurden.

Die Anzahl der einzubringenden Kurshalbjahresleistungen wurde flexibilisiert.

Bisher mussten alle Kurshalbjahresleistungen(KHL) eingebracht werden. Darunter durften höchstens 8 unter 05NP sein. Jetzt könnten bei Doppelgewichtung beider möglicher Fächer und Einbringung aller 52 KHL davon 10 unter 05NP sein. Noch schülerfreundlicher wird es, wenn nicht alle Kurshalbjahresleistungen eingebracht werden. Werden von 44 KHL nur 36 eingebracht, dürften von den 36 KHL nur höchstens 7KHL unter 05NP sein. Aber unter den nicht eingebrachten Kurshalbjahresleistungen könnten auch alle acht unter 05NP sein. Das ergibt zusammen 15 von 44 KHL unter 05NP. Damit sind mehr als ein Drittel aller KHL mit Note 5 bzw. 4- bewertet worden.

§ 38(1) In den Block I werden mindestens 36 Kurshalbjahresergebnisse in einfacher Wertung eingebracht. Darunter müssen sein:

1.vier Kurshalbjahresergebnisse aus Deutsch,

2.vier Kurshalbjahresergebnisse aus einer Profilfach-Fremdsprache,

3.zwei Kurshalbjahresergebnisse aus Musik oder Kunsterziehung,

4.vier Kurshalbjahresergebnisse aus Geschichte,

5.vier Kurshalbjahresergebnisse aus Mathematik,

6.vier Kurshalbjahresergebnisse aus einer Profilfach-Naturwissenschaft und

7.alle Kurshalbjahresergebnisse der Prüfungsfächer, sofern sie nicht bereits vorher durch die Einbringung gemäß den Nummern 1 bis 6 erfasst sind.

Weitere Kurshalbjahresergebnisse können eingebracht werden. Die Schülerin oder der Schüler kann auch entscheiden, die Kurshalbjahresergebnisse beider nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 gewählten Fächer doppelt gewichtet einzubringen. Im Fall der Einbringung doppelt gewichteter Kurshalbjahresergebnisse erhöht sich die Anzahl der eingebrachten Kurshalbjahresergebnisse durch Doppelzählung dieser Kurshalbjahresergebnisse. Die Entscheidung ist in der Regel bei der Meldung zur Abiturprüfung zu treffen. In den Fällen, in denen nur mit der doppelten Gewichtung die Einbringungsverpflichtungen erfüllt werden können, muss die Entscheidung bereits zu den in § 18 Abs. 3 oder 5 benannten Zeitpunkten verbindlich getroffen werden.

§ 38 (4) Von den gemäß Absatz 1 eingebrachten Kurshalbjahresergebnissen dürfen höchstens 20 v. H. mit weniger als 05 Punkten und keine mit 0 Punkten bewertet worden sein. Die Anzahl der zu berücksichtigenden Kurshalbjahresergebnisse hängt davon ab, wie viele Kurshalbjahresergebnisse gemäß Absatz 1 eingebracht werden und ob von der in Absatz 1 eröffneten Option der Doppelgewichtung von Kurshalbjahresergebnissen Gebrauch gemacht wird.

 

In der mündlichen Prüfung sind 00NP möglich.

Bisher musste in jeder Prüfung 01NP erreicht werden, jetzt nur noch in den schriftlichen Prüfungen.

§39(2) Als gemäß Absatz 1 gewichtetes Prüfungsergebnis müssen in jedem der vier Prüfungselemente der schriftlichen Abiturprüfung mindestens 04 Punkte und in drei Prüfungselementen, darunter in mindestens einem Prüfungsfach auf erhöhtem Anforderungsniveau, mindestens je 20 Punkte erreicht sein.

Der Schüler erhält Einsicht in die Protokolle der mündlichen Prüfung.

§ 43 Der Prüfling hat die Möglichkeit, nach Ausgabe der Zeugnisse bis Ende des jeweiligen Kalenderjahres unter Aufsicht in seine Prüfungsarbeiten sowie Protokolle seiner mündlichen Prüfung Einsicht zu nehmen.

Positionen des Referates in der Anhörung

Die Flexibilisierung bei der Wahl der schriftlichen Prüfungsfächer ist durchaus zu begrüßen.  Bei der Auswahl der einzubringenden Halbjahresleistungen in den Block I wird die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler erhöht.

Die Nichtberücksichtigung der Wahlpflichtfächer Geographie und Sozialkunde sowie Ethik und Religion sollte überdacht werden. Auf der einen Seite ist das Abitur der Nachweis für die Allgemeine Hochschulreife und in diese sollten alle Fächer einfließen. Die Schülerinnen und Schüler haben bei der Wahl ihrer Fächer in der Sekundarstufe II bereits eine Auswahl von Fächern getroffen und müssen nicht mehr alle Fächer belegen. Wenn nun weitere Leistungen aus einzelnen Fächern nicht in der Berechnung der Abiturnote berücksichtigt werden, sinkt auch die Aussagekraft der Abiturnote über die Leistungsfähigkeit der Abiturientinnen und Abiturienten. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Anstrengungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler in manchen Fächern schon vor dem letzten Schultag erheblich sinkt.

Der im Entwurf vorgesehenen Einsichtnahme in die Protokolle der mündlichen Prüfung durch den Prüfling können wir nicht zustimmen. Während Leistungen im schriftlichen Teil der Abiturprüfung mit der Prüfungsarbeit im Original vorliegen, stellt das Protokoll eines Prüfungsgespräches nur eine Zusammenfassung von Wahrnehmungen der Mitglieder der Prüfungskommission dar. Vergleichbar mit dem Original der Prüfungsarbeit wäre in der mündlichen Prüfung eine audiovisuelle Aufzeichnung des Gespräches. Da das nicht vorgesehen ist, muss man den prüfenden Lehrern vertrauen.

Leider sind unsere kritischen Hinweise nicht in die jetzt gültige Fassung der Oberstufenverordnung eingeflossen.

Feststellungen nach dem ersten Abitur unter den neuen Bedingungen

Der Abiturdurchschnitt hat sich um ein bis zwei Zehntel verbessert, obwohl die Schüler nicht leistungsfähiger geworden sind. Einzelne Schüler erreichen das Abitur mit 15 Kurshalbjahresleistungen unter 05NP. In den Kurshalbjahren, deren Leistungen die Schülerin oder der Schüler in einem Fach nicht einbringen muss oder will, ist keine Anstrengungsbereitschaft im Unterricht des Faches spürbar.

Vier der zwanzig Schüler meines Mathematikkurses schrieben nicht in Mathematik. An meinem Gymnasium gab es keine mündliche Prüfung mit 0 Notenpunkten. Einsprüche gegen die Bewertung einer mündlichen Prüfung sind mir nicht bekannt.

Die neue Oberstufenverordnung ist komplexer als ihre Vorgängerin und damit nicht verständlicher für Lehrer, Schüler und Eltern. Die Beratung der Schülerinnen und Schüler in der Kursstufe ist wegen der Vielzahl von Einbringungsmöglichkeiten zeitaufwendiger und ohne PC nicht mehr möglich.

Nachsatz zur Vorgeschichte

Der Schüler, der mit seiner Klage die Veränderungen ausgelöst hatte, ist nach meinen Informationen nicht zur angebotenen Wiederholungsprüfung angetreten.

 

Hilmar Penne,
Leiter des Referates Gymnasien

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