Dramatische Zunahme von Überlastungen in der Schule – „Wir schaffen das!“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit diesen legendären Worten äußerte sich die Bundeskanzlerin 2015 zur Flüchtlingsproblematik und seitdem ist dieser Satz in aller Munde. Doch diesen Satz hört man bereits seit den 90er Jahren in vielen Schulen und Lehrerzimmern.

Jede Veränderung in der Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt – und davon gab es zahlreiche – wurde von Lehrkräften und allen am Erziehungsprozess beteiligten Personengruppen, meist intern und oft mit einem Kopfschütteln, diskutiert: veränderte Strukturen, Kürzungen der Stundentafel, zunehmende Verwaltungsaufgaben, Gemeinsamer Unterricht und Inklusion trotz fehlender personeller und sächlicher Voraussetzungen… Doch am Ende sagen wir dann doch: „Wir schaffen das irgendwie auch noch.“

Mit großer Sorge ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren die Zahl der Überlastungsanzeigen gestiegen ist. Die Ursachen hierfür liegen u.a. auch in der zunehmenden Hilflosigkeit, in der sich die Beschäftigten zunehmend sehen und trotz ihres enormen Engagements an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Sofern nicht bereits gesundheitliche Ausfälle die Folge sind, nutzen viele Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen das Mittel der Überlastungsanzeige.

Um dem Gedanken entgegenzuwirken, eine solche Anzeige sei eine persönliche Bankrotterklärung und die Häufung über alle Schulformen hinweg trägt zur Inflationierung dieser bei, soll die Zusammenstellung nachfolgender Fragen und Antworten zum Thema „Überlastungsanzeigen“ einen Beitrag leisten.

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Hinz
Vorsitzende

Was ist eine Überlastungsanzeige aus rechtlicher Sicht?

Die Überlastungsanzeige ist ein Begriff aus dem Arbeitsrecht, der weder in einem Gesetz noch in einem Tarifvertrag (z.B. TV-L) erwähnt oder näher definiert ist.

Er resultiert vielmehr aus dem Arbeitsschutzgesetz, wonach „[…]die Beschäftigten … dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit […] unverzüglich zu melden […]“ haben (§ 16 Abs. 1 ArbSchG).

Durch die Zunahme von Arbeitsbelastungen, verursacht u.a. durch ständigen Personalmangel, Defizite bei der Organisation des Personaleinsatzes, Ausreizung des Flexi-Erlasses usw. werden Beschäftigte an ihre Leistungs- und Belastbarkeitsgrenzen geführt. Dies kann zu Fehlern in der Erledigung der Arbeitsaufgaben führen und negative Folgen für alle Beteiligten haben, sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für den oder die Beschäftigten selbst.

Führt eine Arbeitsüberlastung über die Gefährdung hinaus zu einem Schaden (z.B. Sach- oder Gesundheits-schaden bei Dritten), können Ersatzansprüche in Geld oder arbeitsrechtliche Maßnahmen zu Lasten der Beschäftigten die negativen Konsequenzen sein. Um u.a. dies zu vermeiden, hat sich als Instrument der Entlastung der Beschäftigten vor den Folgen solcher „Gefahrensituationen“ das Erstatten einer Überlastungs-anzeige gegenüber dem Arbeitgeber entwickelt. Darüber hinaus dient die Überlastungsanzeige nicht unwesentlich dazu, den Arbeitgeber deutlich auf die Gefahren für Leib oder gar Leben hinzuweisen. Der Arbeitgeber hat dann die Aufgabe, entsprechende Maßnahmen zur „Gefahrenabwehr“ einzuleiten (§ 618 Abs.1 BGB).

Was ist eine Überlastungsanzeige konkret im schulischen Bereich?

Sie ist der Hinweis an den Arbeitgeber bzw. unmittelbaren Vorgesetzten über potenzielle Schädigungen und Gefährdungen des Schul- oder Unterrichtsablaufs, der Schülerinnen und Schüler  oder der Beschäftigten durch eine vorliegende „Überlastung“ ( z.B. durch personelle Unterbesetzung, organisatorische Mängel oder mangelhafte Arbeitsbedingungen).

Die Anzeige dient u.U. als Beweis bei einem eingetretenen Schaden und damit verbundenen geltend gemachten Ansprüchen der Betroffenen, deshalb sollte vor Ort eine Regelung über die Aufbewahrung getroffen werden.

Die Überlastungsanzeige ist eine Urkunde im Sinne des Strafgesetzbuchs und darf deshalb auch nicht ohne Einwilligung der betroffenen Beschäftigten vernichtet werden.

Was sollte die Kernaussage der Überlastungsanzeige sein?

Die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung in einer konkret zu beschreibenden Situation ist aufgrund der o.g. Punkte gefährdet, und Schäden für die Beteiligten sind zu befürchten. Hierzu zählen beispielsweise permanente Klassenzusammenlegungen, die z.B. die Sicherheit bei praktischen Tätigkeiten (Fach Gestalten, Werken…) gefährden können.

Warum sollten Beschäftigte eine Überlastungsanzeige schreiben?

Aus Eigenschutz der Beschäftigten vor strafrechtlichen, arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Konsequenzen – zur eigenen „Entlastung“ und zum Schutz der der Schülerinnen und Schüler.

Besteht eine Pflicht zur Darstellung einer Überlastungssituation im Arbeitsverhältnis?

Ja. Sie resultiert u.a. aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (§ 611 BGB und §§ 241 Abs. 2, 242 BGB). Danach ist die/der Beschäftigte verpflichtet, den Arbeitgeber vor drohenden oder voraussehbaren Schäden zu bewahren bzw. vor deren Eintritt zu warnen und darüber hinaus auf z.B. organisatorische Mängel usw. aufmerksam zu machen. Weiter konkretisiert werden diese Nebenpflichten im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Nach § 15 ArbSchG haben die Beschäftigten nämlich die Pflicht (soweit es für sie selbst möglich ist), für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, aber auch für die der Personen, die von Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind, Sorge zu tragen.

Wann ist eine Überlastungsanzeige abzugeben?

Wenn absehbar ist, dass aus eigener Kraft die Arbeit nicht mehr so zu leisten ist, dass Schäden oder arbeits- oder andere vertragliche Verletzungen ausgeschlossen werden können.

Was sollte Inhalt einer Überlastungsanzeige sein?

Neben bereitgestellten Vorlagen, die eine Hilfestellung geben können, sollten folgende Punkte in einer Überlastungsanzeige nicht fehlen:

  • Benennung der konkreten Überlastungsmerkmale (keine Pausen, zu lange Arbeitszeiten, Schilderung der Ursachen zu hoher Arbeitsbelastung wie mangelnde Personalausstattung, überfüllte Klassen usw.)
  • persönliche oder dienstliche Folgen (häufige Erkrankungen aufgrund von Stress/Überlastung in der Vergangenheit; Beschwerden innerhalb und außerhalb der Dienststelle usw.)
  • Aufzählen der Arbeiten, die nicht erledigt werden können oder vorrangig vorgenommen werden
  • Begehren auf unverzügliche Abhilfe der Situation durch den Arbeitgeber (Fristsetzung)

Je nach Bedarf und schulischen Gegebenheiten kann die Überlastungsanzeige noch weitere oder andere Inhalte haben. Wichtig ist aber, dass die Situation so konkret wie möglich beschrieben wird.

Was geschieht nach der Abgabe der Überlastungsanzeige?

Zunächst einmal sollten diese Anzeigen parallel an die zuständigen Bezirkspersonalräte in Halle oder in Magdeburg und an den Lehrerhauptpersonalrat in Magdeburg gesendet werden, damit diese informiert und gegebenenfalls unterstützend tätig werden können.

Sofern nicht unmittelbar durch die Schule Abhilfe geschaffen werden kann, wird sich die nachstehende Behörde (Landesschulamt) mit der Überlastungsanzeige auseinandersetzen und sollte, nach Prüfung dieser, entsprechende Maßnahmen ergreifen. Keinesfalls sollte das Resultat eine Unterrichtshospitation als unmittelbare Folge sein. Diese erweckt den Eindruck, dass der oder die Beschäftigte aus eigenem Verschulden die Überlastung hervorgerufen hat. Gleichwohl kann eine solche Maßnahme zur Situationsbeurteilung gelegentlich erforderlich sein.

Ein einheitliches Verfahren im Umgang mit Überlastungsanzeigen wird derzeit vom LHPR angestrebt.

Die Anzeige der Überlastung entbindet letztendlich nicht von den arbeitsvertraglichen Pflichten. Sofern keine Abhilfe geschaffen wird und es zu einem Schadensfall kommt, wird die Haftung der/des Beschäftigten jedoch durch eine berechtigte Überlastungsanzeige anders zu bewerten sein.

Muss die Überlastungsanzeige „Überlastungsanzeige“ heißen?

Nein. In der Praxis werden dafür auch die Begriffe verwendet, z.B.

  • Entlastungsanzeige: dient der Entlastung der Beschäftigten im Schadensfall
  • Gefahrenanzeige: macht auf mögliche Gefahren aufmerksam oder
  • Qualitätsanzeige: Hinweis darauf, dass erarbeitete oder festgelegte Qualitätsstandards nicht eingehalten werden können

Da der Begriff „Überlastungsanzeige“ nicht geschützt ist, sind die Beschäftigten in der Wahl der Überschrift der kritischen Situationsbeschreibung frei.

M.Tomaschewski
FG Förderschulen

Der LHPR ist sehr an den konkreten Situationen, Erfahrungen und Meinungen an den Einrichtungen interessiert. Hier können Sie uns erreichen.

Lehrerhauptpersonalrat beim Ministerium für Bildung
Turmschanzenstraße 32
39114 Magdeburg
0391 / 567 3620
lhpr.gst@min.mb.sachsen-anhalt.de

Hauptschwerbehindertenvertreter für das Landespersonal an öffentlichen Schulen
Turmschanzenstraße 32
39114 Magdeburg
0391 / 567 3630
Siegfried.Reichelt@min.mb.sachsen-anhalt.de

Fähigkeiten

Gepostet am

1. Mai 2017

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner